Worum geht es?
KLARpsy-Texte bereiten Forschungsergebnisse aus der Psychologie für die Öffentlichkeit auf. Dieser KLARpsy-Text wurde von Mitarbeitenden des Leibniz-Instituts für Psychologie verfasst. Der KLARpsy-Text fasst die Übersichtsarbeit mit dem Titel Pre-and postnatal antibiotic exposure and risk of developing attention deficit hyperactivity disorder–A systematic review and meta-analysis combining evidence from human and animal studies zusammen. Diese Übersichtsarbeit beinhaltet eine Metaanalyse. Die Übersichtsarbeit wurde 2022 veröffentlicht. Sie stammt von Katharina Otten und acht weiteren Forschenden der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen und fünf weiteren Instituten.
Was war das Ziel der Übersichtsarbeit?
Hintergrund:
ADHS („Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung“) ist eine der häufigsten Störungen in der Entwicklung des Nervensystems. Bei der Entwicklung solcher Störungen spielt auch die Darmflora eine wichtige Rolle. Diese kann gestört werden, wenn man Antibiotika einnimmt. Daher untersuchen Forschende, ob ein früher Kontakt mit Antibiotika dazu führen kann, dass ein Kind ADHS entwickelt.
Forschungsfrage:
Mit ihrer Übersichtsarbeit wollten die Forschenden herausfinden: Haben Babys, die sehr früh in Kontakt mit Antibiotika kommen, später ein höheres Risiko, ADHS zu entwickeln?
Wie sind die Forschenden in der Übersichtsarbeit vorgegangen?
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gesucht?
Die Forschenden suchten nach Studien, die einen Zusammenhang zwischen einem frühen Kontakt mit Antibiotika als Baby und der Entwicklung von ADHS untersuchten. Der Kontakt mit Antibiotika musste während der Schwangerschaft der Mutter oder bis zu zwei Jahre nach der Geburt erfolgen.
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gefunden?
Die Forschenden fanden insgesamt 8 Studien aus den Jahren 2016 bis 2021. Davon waren 4 Studien aus den Jahren 2019 bis 2021 mit Babys, die nach der Geburt Antibiotika bekamen, die sie zu einer Metaanalyse zusammenfassen konnten. Das sind Ergebnisse von 1 863 867 Babys. Weitere 4 Studien aus den Jahren 2019 bis 2021 mit Babys, deren Mütter während der Schwangerschaft Antibiotika nahmen, konnten sie zu einer weiteren Metaanalyse zusammenfassen. Das sind Ergebnisse von 2 398 475 Babys.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit gemacht?
In den 8 Studien schauten die Forschenden, ob ein früher Kontakt mit Antibiotika das Risiko erhöhte, dass die Babys später ADHS entwickeln.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit untersucht?
Folgende Merkmale der Babys wurden untersucht:
- Art und Zeitpunkt des Kontakts mit Antibiotika
- Vor der Geburt
- Die Mutter nahm während der Schwangerschaft Antibiotika.
- Die Mutter nahm während der Schwangerschaft keine Antibiotika.
- Nach der Geburt
- Das Baby bekam in den ersten zwei Lebensjahren Antibiotika.
- Das Baby bekam keine Antibiotika in den ersten zwei Lebensjahren.
- Vor der Geburt
- Entwicklung von ADHS in der Kindheit
- Das Baby entwickelte später in der Kindheit ADHS.
- Das Baby entwickelte später in der Kindheit keine ADHS.
Hinweis der KLARpsy-Autor:innen
Sollten Ihnen Begriffe in diesem Abschnitt nicht vertraut sein, finden Sie eine Erklärung im KLARsaurus-Wörterbuch.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
- Wenn die Mütter der Babys während der Schwangerschaft Antibiotika nahmen, war das Risiko bedeutsam höher, dass die Babys später ADHS entwickelten. Das zusammenfassende Risikomaß Hazard Ratio betrug 1.23. Das bedeutet, dass das Risiko, dass diese Babys später ADHS entwickelten, 1.23-mal so hoch war wie bei Babys, deren Mütter während der Schwangerschaft keine Antibiotika genommen hatten.
- Wenn die Babys nach der Geburt Antibiotika bekamen, war das Risiko, dass sie später ADHS entwickelten, im Vergleich zu Babys, die nach der Geburt keine Antibiotika bekamen, nicht bedeutsam höher.
Wie lassen sich die Ergebnisse bewerten?
Was ist die Ursache für die Ergebnisse?
In der Übersichtsarbeit wurde ein Zusammenhang zwischen der Einnahme von Antibiotika während der Schwangerschaft der Mutter und einer späteren ADHS-Diagnose beim Kind beobachtet. Wegen der Art der Studien, die berücksichtigt wurden, weiß man nur, dass es diesen Zusammenhang gibt. Man kann aber nicht sicher sagen, dass das Antibiotika die ADHS verursacht hat.
Sind die Ergebnisse durch eingeschränktes Veröffentlichen von Studien verzerrt?
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Worum geht es? Eindeutige Forschungsergebnisse lassen sich leichter veröffentlichen als uneindeutige Ergebnisse. Das ist für Übersichtsarbeiten problematisch. Sie können unveröffentlichte Ergebnisse nämlich nicht berücksichtigen.
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Was bedeutet das für die vorliegende Übersichtsarbeit? Die Forschenden machen keine Angaben dazu, ob es Hinweise auf solche Verzerrungen gibt. Ob der Zusammenhang zwischen Antibiotika und ADHS tatsächlich kleiner ist als in dieser Übersichtsarbeit berechnet, bleibt unklar.
Wie zuverlässig sind die Ergebnisse?
Alle untersuchten Studien waren Beobachtungsstudien. Aus diesen Ergebnissen kann man nicht erkennen, ob Antibiotika wirklich ADHS verursachen. Die ADHS könnte auch durch etwas Anderes verursacht worden sein, zum Beispiel durch die Krankheit der Mutter, wegen der sie Antibiotika nehmen musste.
Welchen Alltagsbezug sehen die Forschenden in der Übersichtsarbeit?
Die Forschenden sagen, dass die Ergebnisse für die Erforschung von ADHS wichtig sind. Es müssten aber verbesserte Studien gemacht werden, um klare Aussagen machen zu können. Auch Experimente mit Versuchstieren würden helfen, um sichere Schlussfolgerungen zu ziehen.
Was ist noch zu beachten?
Wer hat die Übersichtsarbeit finanziert?
Die Erstellung der Übersichtsarbeit wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert. Das ist eine Einrichtung, die Wissenschaft und Forschung in Deutschland fördert. Sie wird von Bund und Ländern finanziert.
Berichten die Forschenden in der Übersichtsarbeit eigene Interessenkonflikte?
Die Forschenden berichten, dass keine Interessenkonflikte bei ihnen vorliegen.