Worum geht es?
KLARpsy-Texte bereiten Forschungsergebnisse aus der Psychologie für die Öffentlichkeit auf. Dieser KLARpsy-Text wurde von Mitarbeitenden des Leibniz-Instituts für Psychologie verfasst. Der KLARpsy-Text fasst die Übersichtsarbeit mit dem Titel Mental health in people with minority sexual orientations: A meta‐analysis of population‐based studies zusammen. Diese Übersichtsarbeit beinhaltet eine Metaanalyse. Die Übersichtsarbeit wurde 2022 veröffentlicht. Sie stammt von Charlotte Wittgens und fünf weiteren Forschenden von der Medical School Hamburg und drei weiteren Instituten.
Was war das Ziel der Übersichtsarbeit?
Hintergrund:
Homo- und bisexuelle Menschen gehören im Gegensatz zu heterosexuellen Menschen einer gesellschaftlichen Minderheit an. Noch immer erleben sie deshalb häufig Benachteiligungen und Ausgrenzung oder sogar Gewalt. Solche Erfahrungen könnten das Risiko für manche psychischen Störungen erhöhen.
Forschungsfrage:
Mit ihrer Übersichtsarbeit wollten die Forschenden herausfinden:
- Wie hoch ist das Risiko für psychische Störungen von homo- und bisexuellen Menschen verglichen mit heterosexuellen Menschen?
- Wie hoch ist das Risiko für psychische Störungen von bisexuellen Menschen verglichen mit homosexuellen Menschen?
Wie sind die Forschenden in der Übersichtsarbeit vorgegangen?
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gesucht?
Die Forschenden suchten nach Studien, die das Vorkommen verschiedener psychischer Störungen bei homo-, bi-, und heterosexuellen Erwachsenen verglichen. Die Studien mussten die Störungen mit einem wissenschaftlich geprüften Fragebogen erfasst haben.
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gefunden?
Die Forschenden fanden insgesamt 26 Studien aus den Jahren 2000 bis 2020, deren Ergebnisse sie zu einer Metaanalyse zusammenfassen konnten. Insgesamt sind das Studienergebnisse von 519 414 heterosexuellen, 10 178 homosexuellen und 14 410 bisexuellen Erwachsenen.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit gemacht?
In den 26 Studien schauten die Forschenden, wie hoch das Risiko homosexueller und bisexueller Menschen im Vergleich zu heterosexuellen Menschen war, an einer psychischen Störung zu erkranken. Außerdem verglichen sie das Risiko zwischen homo- und bisexuellen Menschen, an einer psychischen Störung zu erkranken.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit untersucht?
Folgende Merkmale wurden untersucht:
- Sexuelle Orientierung
- Heterosexuell
- Homosexuell
- Bisexuell
- Psychische Störungen und Probleme: Depression, Angststörung, Alkoholmissbrauch, Gedanken an Selbsttötung
Hinweis der KLARpsy-Autor:innen
Sollten Ihnen Begriffe in diesem Abschnitt nicht vertraut sein, finden Sie eine Erklärung im KLARsaurus-Wörterbuch.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
- Homosexuelle Menschen hatten ein höheres Risiko für psychische Störungen als heterosexuelle Menschen. Die Effektstärke Odds Ratio betrug hier 2.16. Das bedeutet, dass das Risiko für eine psychische Störung für homosexuelle im Vergleich zu heterosexuellen Menschen mehr als doppelt so hoch war.
- Bisexuelle Menschen hatten ein höheres Risiko für psychische Störungen als heterosexuelle Menschen. Die Effektstärke Odds Ratio betrug hier 2.78. Das bedeutet, dass das Risiko für eine psychische Störung für homosexuelle im Vergleich zu heterosexuellen Menschen mehr als doppelt so hoch war.
- Bisexuelle Menschen hatten außerdem ein höheres Risiko für psychische Störungen als homosexuelle Menschen. Die Effektstärke Odds Ratio betrug hier 1.30. Das bedeutet, dass das Risiko für eine psychische Störung für bisexuelle im Vergleich zu homosexuellen Menschen 1.3-mal höher war.
Wie lassen sich die Ergebnisse bewerten?
Was ist die Ursache für die Ergebnisse?
In der Übersichtsarbeit wurde ein Zusammenhang zwischen Homo- und Bisexualität und einem höheren Risiko für psychische Störungen beobachtet. Wegen der Art der Studien, die berücksichtigt wurden, weiß man nur, dass es diesen Zusammenhang gibt. Dies bedeutet nicht, dass Homo- oder Bisexualität die Ursachen für das höhere Risiko sind.
Sind die Ergebnisse durch eingeschränktes Veröffentlichen von Studien verzerrt?
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Worum geht es? Eindeutige Forschungsergebnisse lassen sich leichter veröffentlichen als uneindeutige Ergebnisse. Das ist für Übersichtsarbeiten problematisch. Sie können unveröffentlichte Ergebnisse nämlich nicht berücksichtigen.
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Was bedeutet das für die vorliegende Übersichtsarbeit? Die Forschenden fanden Hinweise auf solche Verzerrungen. Sie haben sich bemüht, diese Verzerrungen zu berücksichtigen. Sie nehmen deshalb an, dass die ermittelten Risiken für psychische Störungen bei homo- und bisexuellen Menschen tatsächlich ähnlich hoch sind wie in ihrer Übersichtsarbeit berechnet.
Wie zuverlässig sind die Ergebnisse?
Die Forschenden geben zu bedenken, dass die berücksichtigten Studien aus westlichen Industrienationen stammen. Die Ergebnisse sind also nicht auf andere Kulturkreise übertragbar. Außerdem unterscheiden sich die Studien in der Genauigkeit, mit der die psychischen Störungen festgestellt wurden. Manche Fachpersonen haben auch noch Vorurteile gegenüber Menschen, die homo- oder bisexuell sind. Deshalb könnte es sein, dass sie bei diesen Menschen eher eine psychische Störung feststellen.
Welchen Alltagsbezug sehen die Forschenden in der Übersichtsarbeit?
Erfahrungen von gesellschaftlicher Ausgrenzung könnten dazu beitragen, dass Menschen mit homo- oder bisexueller Orientierung ein höheres Risiko für psychische Störungen haben. Daher ist es wichtig, in der Schule, am Arbeitsplatz und im Gesundheitswesen zu vermitteln, dass es normal ist, dass Menschen unterschiedliche sexuelle Orientierungen haben.
Was ist noch zu beachten?
Wer hat die Übersichtsarbeit finanziert?
Die Veröffentlichung der Übersichtsarbeit wurde durch DEAL finanziert. Das ist ein Projekt, das sich für die freie Zugänglichkeit von Forschung einsetzt. Zwei Forschende wurden in ihrer Forschung finanziell vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Ein Forschender wurde in seiner Forschung außerdem vom Pharmaunternehmen Gilead unterstützt.
Berichten die Forschenden in der Übersichtsarbeit eigene Interessenkonflikte?
Die Forschenden berichten, dass keine Interessenkonflikte bei ihnen vorliegen.