Worum geht es?
KLARpsy-Texte bereiten Forschungsergebnisse aus der Psychologie für die Öffentlichkeit auf. Dieser KLARpsy-Text wurde von Mitarbeitenden des Leibniz-Instituts für Psychologie verfasst. Der KLARpsy-Text fasst die Übersichtsarbeit mit dem Titel Loneliness Before and During the COVID-19 Pandemic: A Systematic Review with Meta-analysis zusammen. Diese Übersichtsarbeit beinhaltet eine Metaanalyse. Die Übersichtsarbeit wurde 2022 veröffentlicht. Sie stammt von Mareike Ernst und acht weiteren Forschenden der Universitätsmedizin Mainz und sechs weiteren Instituten.
Was war das Ziel der Übersichtsarbeit?
Hintergrund:
In der Psychologie nennt man einen Menschen dann einsam, wenn er darunter leidet, dass er weniger oder schlechtere Kontakte mit Mitmenschen hat, als er sich wünschen würde. Studien haben gezeigt, dass Menschen, die sich einsam fühlen, eine schlechtere psychische und körperliche Gesundheit haben. Die Maßnahmen während der Corona-Pandemie führten dazu, dass die Menschen weniger andere Menschen trafen. Unter anderem deswegen könnte es sein, dass die Menschen sich während der Pandemie einsamer fühlten.
Forschungsfrage:
Mit ihrer Übersichtsarbeit wollten die Forschenden herausfinden: Fühlten die Menschen sich während der Corona-Pandemie einsamer als vor der Pandemie?
Wie sind die Forschenden in der Übersichtsarbeit vorgegangen?
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gesucht?
Die Forschenden suchten nach sogenannten Längsschnittstudien über die Einsamkeit der Menschen vor und während der Corona-Pandemie. Das bedeutet: Die Studien mussten die Einsamkeit der Menschen an zwei Zeitpunkten gemessen haben. Zuerst mussten sie die Menschen vor dem Beginn der Pandemie gefragt haben, wie einsam sie sich fühlen. Dann mussten sie die gleichen Menschen während der Pandemie ein zweites Mal gefragt haben, wie einsam sie sich fühlen.
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gefunden?
Die Forschenden fanden insgesamt 19 Studien aus den Jahren 2020 und 2021, deren Ergebnisse sie mit einer Metaanalyse zusammenfassen konnten. Von den 19 Studien untersuchten 7 Studien nur ältere Menschen, 4 Studien nur Studierende, 2 Studien nur Jugendliche und 6 Studien nur Personen der dortigen Allgemeinbevölkerung. Alle Studien untersuchten sowohl Männer als auch Frauen. Insgesamt sind das Studienergebnisse von 45 734 Personen. Die Personen kamen überwiegend aus Europa, USA und Kanada und waren im Mittel zwischen 12 und 75 Jahren alt.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit gemacht?
In den 19 Studien schauten die Forschenden, ob sich die Einsamkeit der Menschen vor der Pandemie im Vergleich zu während der Pandemie bedeutsam unterschied.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit untersucht?
Folgende Merkmale haben die Forschenden untersucht:
- Wie sehr sich die Menschen einsam gefühlt haben
- vor der Pandemie
- während der Pandemie
Hinweis der KLARpsy-Autor:innen
Sollten Ihnen Begriffe in diesem Abschnitt nicht vertraut sein, finden Sie eine Erklärung im KLARsaurus-Wörterbuch.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
- Die Forschenden fanden heraus, dass es über alle Studien hinweg einen bedeutsamen Unterschied dazwischen gab, wie einsam sich die Menschen während der Corona-Pandemie im Vergleich zu vor der Pandemie fühlten. Im Schnitt fühlten die Menschen sich während der Pandemie etwas einsamer als vor der Pandemie. Die Effektgröße SMD (standardisierte Mittelwertsdifferenz) betrug 0.27. Das bedeutet, dass der Unterschied klein war.
- In den Einzelstudien konnten die Forschenden sehen, dass sich sowohl jüngere als auch ältere Personen während der Pandemie einsamer fühlten.
- In den Einzelstudien konnten die Forschenden außerdem sehen, dass sich der Anstieg an Einsamkeit während der Pandemie im Vergleich zu vor der Pandemie eher bei Frauen als bei Männern zeigte. Der Anstieg an Einsamkeit zeigte sich außerdem eher bei psychisch belasteten Personen, alleine lebenden Personen und Singles als bei psychisch gesunden Personen, nicht alleine lebenden Personen und Personen in einer Paarbeziehung.
Wie lassen sich die Ergebnisse bewerten?
Was ist die Ursache für die Ergebnisse?
In der Übersichtsarbeit wurde berechnet, dass sich Menschen während der Corona-Pandemie etwas einsamer fühlten als vor der Pandemie. Wegen der Art der Studien, die berücksichtigt wurden, weiß man nur, dass es diesen Unterschied gibt. Man kann aber nicht sicher sagen, dass die Corona-Pandemie auch die Ursache der Einsamkeit ist.
Sind die Ergebnisse durch eingeschränktes Veröffentlichen von Studien verzerrt?
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Worum geht es? Eindeutige Forschungsergebnisse lassen sich leichter veröffentlichen als uneindeutige Ergebnisse. Das ist für Übersichtsarbeiten problematisch. Sie können unveröffentlichte Ergebnisse nämlich nicht berücksichtigen.
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Was bedeutet das für die vorliegende Übersichtsarbeit? Die Forschenden fanden keine Hinweise auf solche Verzerrungen. Sie nehmen deshalb an, dass die Zunahme der Einsamkeit tatsächlich ähnlich groß ist wie in ihrer Übersichtsarbeit berechnet.
Wie zuverlässig sind die Ergebnisse?
Die Forschenden geben zu bedenken: Es könnte sein, dass etwas Anderes als die Pandemie dazu geführt hat, dass sich die Menschen über die Zeit einsamer fühlten. Zum Beispiel, dass die Menschen immer mehr Zeit in den Sozialen Medien verbringen und deswegen weniger andere Menschen treffen. Außerdem sollte man bedenken, dass stark vereinsamte Menschen möglicherweise nicht an solchen Studien teilnehmen, weil sie zum Beispiel keinen Zugang zum Internet haben. Die Menschen fühlen sich vielleicht also insgesamt einsamer als in den Studien berechnet.
Welchen Alltagsbezug sehen die Forschenden in der Übersichtsarbeit?
Die Forschenden schließen aus ihren Ergebnissen, dass man wegen des kleinen Unterschieds nicht von einer „Einsamkeits-Pandemie“ sprechen kann. Jedoch betonen sie, dass Einsamkeit ein gesellschaftliches Problem ist. In weiteren Studien sollten vor allem untersucht werden, wie es dazu kommt, dass Menschen sich einsam fühlen und was man dagegen tun kann. Solche Maßnahmen sollten vor allem besonders betroffene Gruppen wie ältere Personen ohne Zugang zum Internet ansprechen.
Was ist noch zu beachten?
Wer hat die Übersichtsarbeit finanziert?
Zwei der Forschenden erhielten eine finanzielle Unterstützung zur Erstellung der Übersichtsarbeit. Mareike Ernst wurde durch ein Programm des Mainzer Forschungszentrums für Psychische Gesundheit unterstützt. Tony Rosen wurde durch eine Förderung des National Institute on Aging (Nationales Institut für Altern, ein Institut der Nationalen Gesundheitsinstitute des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums) unterstützt.
Berichten die Forschenden in der Übersichtsarbeit eigene Interessenkonflikte?
Die Forschenden berichten, dass keine Interessenkonflikte bei ihnen vorliegen.