Worum geht es?
KLARpsy-Texte bereiten Forschungsergebnisse aus der Psychologie für die Öffentlichkeit auf. Dieser KLARpsy-Text wurde von Mitarbeitenden des Leibniz-Instituts für Psychologie verfasst. Der KLARpsy-Text fasst die Übersichtsarbeit mit dem Titel An individual participant data meta-analysis: Behavioral treatments for children and adolescents with attention-deficit/hyperactivity disorder zusammen. Diese Übersichtsarbeit beinhaltet eine Metaanalyse. Die Übersichtsarbeit wurde 2022 veröffentlicht. Sie stammt von Annabeth P. Groenman und 33 weiteren Forschenden von der Universität Groningen und 25 weiteren Instituten.
Was war das Ziel der Übersichtsarbeit?
Hintergrund:
Kinder und Jugendliche mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) sind im Alltag häufig beeinträchtigt, etwa in der Schule und im Austausch mit anderen Menschen. Verhaltenstrainings können Betroffenen und deren Umfeld helfen. Sie stärken zum Beispiel soziale Fähigkeiten oder die Selbstkontrolle. Allerdings helfen Verhaltenstrainings nicht bei allen Betroffenen gleich gut. Unklar ist warum.
Forschungsfrage:
Mit ihrer Übersichtsarbeit wollten die Forschenden herausfinden: Helfen Verhaltenstrainings, die ADHS-Symptome und allgemeine Beeinträchtigung von Kindern und Jugendlichen mit ADHS zu mindern? Welche Merkmale der Betroffenen beeinflussen, wie sehr die Verhaltenstrainings helfen?
Wie sind die Forschenden in der Übersichtsarbeit vorgegangen?
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gesucht?
Die Forschenden suchten nach Studien, die die Wirksamkeit von Verhaltenstrainings bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS unter 18 Jahren untersuchten. Die Studien sollten Verhaltenstrainings mit anderen Behandlungen oder mit gar keiner Behandlung vergleichen. Die Verhaltenstrainings sollten sich an betroffene Kinder und Jugendliche, deren Eltern oder Lehrkräfte richten.
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gefunden?
Die Forschenden fanden insgesamt 21 Studien aus den Jahren 1999 bis 2017, deren Ergebnisse sie mit einer Metaanalyse zusammenfassen konnten. Das waren Studienergebnisse von 2 233 Kindern und Jugendlichen mit ADHS-Symptomen im Alter zwischen 2 und 17 Jahren. Die Studien kamen aus den USA, dem Vereinigten Königreich, Deutschland, den Niederlanden, dem Iran, Neuseeland und Israel.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit gemacht?
In den 21 Studien schauten die Forschenden, ob die Verhaltenstrainings die ADHS-Symptome und die allgemeine Beeinträchtigung verringerten. Sie untersuchten auch, ob die Wirksamkeit der Verhaltenstrainings von weiteren Merkmalen, wie der Stärke der ADHS-Symptome zu Beginn der Behandlung, zusätzlichen psychischen Störungen oder dem Alter oder Geschlecht der Betroffenen abhingen.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit untersucht?
Die Forschenden untersuchten folgende Merkmale:
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Art der Behandlung
- Verhaltenstraining für Kinder und Jugendliche, Eltern und Lehrkräfte
- keine Behandlung oder eine andere Behandlung
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Zustand nach der Behandlung
- die Stärke der ADHS-Symptome, etwa Unaufmerksamkeit, Bewegungsdrang, Neigung zu unbedachtem Handeln
- die allgemeine Beeinträchtigung, etwa Probleme in der Schule oder im Austausch mit anderen Menschen
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Weitere Merkmale der Betroffenen
- das Vorliegen weiterer psychischer Störungen zu Beginn der Behandlung, etwa Symptome oder die Diagnose einer Zwangsstörung
- das Alter oder das Geschlecht
Hinweis der KLARpsy-Autor:innen
Sollten Ihnen Begriffe in diesem Abschnitt nicht vertraut sein, finden Sie eine Erklärung im KLARsaurus-Wörterbuch.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
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Im Vergleich zu anderen Behandlungen oder keiner Behandlung milderten die Verhaltenstrainings die ADHS-Symptome. Die Effektstärke Beta betrug - 0.42. Das ist ein kleiner bis mittelgroßer Effekt der Verhaltenstrainings auf die ADHS-Symptome.
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Zusätzliche Symptome oder die zusätzliche Diagnose einer Zwangsstörung führten dazu, dass die Verhaltenstrainings weniger gegen die ADHS-Symptome halfen. Die Effektstärke für den Einfluss der Symptome einer Zwangsstörung Beta betrug - 0.19. Die Effektstärke für den Einfluss der Diagnose einer Zwangsstörung Beta betrug - 0.55. Das sind kleine bis mittelgroße Effekte. Wenn zusätzliche Symptome oder die Diagnose einer Zwangsstörung vorlagen, milderten die Verhaltenstrainings die ADHS-Symptome weniger stark.
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Auch die allgemeine Beeinträchtigung wurde durch die Verhaltenstrainings im Vergleich zu anderen Behandlungen oder keiner Behandlung gemildert. Die Effektstärke Beta betrug - 0.59. Das ist ein mittelgroßer Effekt der Verhaltenstrainings auf die allgemeine Beeinträchtigung.
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Wie gut die Verhaltenstrainings gegen die allgemeine Beeinträchtigung halfen, wurde durch die Stärke der ADHS-Symptome zu Beginn der Behandlung beeinflusst. Die Effektstärke Beta hierfür betrug 0.50. Das ist ein mittelgroßer Einfluss. Je stärker die ADHS-Symptome zu Beginn der Behandlung, desto weniger minderten die Verhaltenstrainings die allgemeine Beeinträchtigung.
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Weder das Alter noch das Geschlecht der Betroffenen hatten einen bedeutsamen Einfluss darauf, wie sehr die Verhaltenstrainings gegen die ADHS-Symptome oder die allgemeinen Beeinträchtigungen halfen.
Wie lassen sich die Ergebnisse bewerten?
Was ist die Ursache für die Ergebnisse?
In der Übersichtsarbeit konnte gezeigt werden, dass Verhaltenstrainings bei ADHS besser halfen als keine oder andere Behandlungen. Wegen der Art der Studien die berücksichtigt wurden, kann man mit hoher Sicherheit sagen, dass die Verhaltenstrainings auch die Ursache für die Verringerung der ADHS-Symptome und der allgemeinen Beeinträchtigung waren.
Sind die Ergebnisse durch eingeschränktes Veröffentlichen von Studien verzerrt?
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Worum geht es? Eindeutige Forschungsergebnisse lassen sich leichter veröffentlichen als uneindeutige Ergebnisse. Das ist für Übersichtsarbeiten problematisch. Sie können unveröffentlichte Ergebnisse nämlich nicht berücksichtigen.
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Was bedeutet das für die vorliegende Übersichtsarbeit? Die Forschenden können nicht ausschließen, dass solche Verzerrungen vorliegen. Ob die Wirksamkeit der Verhaltenstrainings auf die ADHS-Symptome und allgemeine Beeinträchtigung tatsächlich kleiner ist als in dieser Übersichtsarbeit berechnet, bleibt damit unklar.
Wie zuverlässig sind die Ergebnisse?
Die Forschenden geben zu bedenken: Die Übersichtsarbeit lässt keine Aussage darüber zu, wie verschiedene Arten von Verhaltenstrainings, wie Elterntrainings, Einzeltrainings oder Trainings von Schulklassen, im Einzelnen wirken. Außerdem weisen sie darauf hin, dass sich die Ergebnisse nur auf die ADHS-Symptome und allgemeine Beeinträchtigung direkt nach dem Verhaltenstraining beziehen. Sie lassen somit keine Aussagen darüber zu, ob die Verhaltenstrainings den Betroffenen auch langfristig helfen.
Welchen Alltagsbezug sehen die Forschenden in der Übersichtsarbeit?
Die Forschenden schließen aus der Übersichtsarbeit, dass Verhaltenstrainings Kindern und Jugendlichen mit ADHS helfen. Betroffene, die zusätzlich unter Zwangsstörungen oder besonders starken ADHS-Symptomen leiden, sollten bei der Behandlung bevorzugt werden. Dadurch können Verschlimmerungen von ADHS-Symptomen und der allgemeinen Beeinträchtigung verhindert werden, die wiederum die Wirksamkeit von Verhaltenstrainings verringern.
Falls Sie oder jemand in Ihrem Umfeld von ADHS betroffen sind/ist, sollte die Entscheidung für eine bestimmte Behandlung erst nach Rücksprache mit Fachpersonal erfolgen.
Was ist noch zu beachten?
Wer hat die Übersichtsarbeit finanziert?
Die Erstellung der Übersichtsarbeit wurde durch Zuwendungen der öffentlichen niederländischen Organisation für Gesundheitsforschung und -entwicklung (ZonMw) an eine Autorin der Übersichtsarbeit finanziert. Die Organisation hatte keinen Einfluss auf die Gestaltung, Datenerhebung, Datenanalyse, Interpretation oder Veröffentlichung der Übersichtsarbeit.
Berichten die Forschenden in der Übersichtsarbeit eigene Interessenkonflikte?
Der Großteil der Forschenden berichtet von Interessenkonflikten. Einige von ihnen haben an Verhaltenstrainings mitgearbeitet oder diese mitentwickelt. Außerdem haben einige Forschenden finanzielle Zuwendungen niederländischer privatwirtschaftlicher und öffentlicher Organisationen erhalten.