Wirken Scheinbehandlungen mit Placebos bei ADHS?

Worum geht es?

KLARpsy-Texte bereiten Forschungsergebnisse aus der Psychologie für die Öffentlichkeit auf. Dieser KLARpsy-Text wurde von Mitarbeitenden des Leibniz-Instituts für Psychologie verfasst. Der KLARpsy-Text fasst die Übersichtsarbeit mit dem Titel Placebo and nocebo responses in randomised, controlled trials of medications for ADHD: a systematic review and meta-analysis zusammen. Diese Übersichtsarbeit beinhaltet eine Metaanalyse. Die Übersichtsarbeit wurde 2022 veröffentlicht. Sie stammt von Stephen V. Faraone und sieben weiteren Forschenden von der SUNY Upstate Medical University aus New York und acht weiteren Instituten aus Europa und den USA.

Was war das Ziel der Übersichtsarbeit?

Hintergrund:

Viele klinische Studien testen, ob Medikamente bei bestimmten psychischen Störungen wirken. Dazu vergleicht man die Wirkung eines Medikaments damit, wie gut ein Scheinmedikament wirkt. Solche Scheinmedikamente heißen . Man weiß, dass sich die Beschwerden einer Störung häufig verbessern, wenn Betroffene in klinischen Studien Placebos bekommen. Wie stark dies bei der Fall ist, ist aber noch unklar. Zudem wirken Placebos je nach Studie unterschiedlich stark. Für die Forschung wäre es wichtig zu wissen, ob Studien, bei denen Placebos eher stark helfen, auch eine größere Wirkung der echten Medikamente finden.

Forschungsfrage:

Mit ihrer Übersichtsarbeit wollten die Forschenden herausfinden: Wirken Placebos bei ADHS in klinischen Studien? Hängt die Wirkung von Placebos und echten Medikamenten in den Studien zusammen?

Wie sind die Forschenden in der Übersichtsarbeit vorgegangen?

Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gesucht?

Die Forschenden suchten nach Studien, die die Wirkung von und echten Medikamenten bei verglichen. Ob die Betroffenen ein Placebo oder ein echtes Medikament bekamen, wurde zufällig bestimmt. Weder die Betroffenen noch die Durchführenden durften dies wissen. Die Studien mussten mindestens eine Woche dauern und die Betroffenen mussten mindestens fünf Jahre alt sein.

Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gefunden?

Die Forschenden fanden insgesamt 128 Studien aus den Jahren 1987 bis 2019, die sie mit einer Metaanalyse zusammenfassen konnten. Insgesamt waren das Ergebnisse von 10 578 Kindern und Jugendlichen sowie von 9 175 Erwachsenen mit ADHS. Die Studien stammten vor allem aus Nordamerika, Europa, Asien und Australien.

Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit gemacht?

In den 128 Studien schauten die Forschenden, ob Placebos die Beschwerden von ADHS verbesserten. Sie schauten auch, ob die Wirkung der Placebos und der echten Medikamente zusammenhing.

Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit untersucht?

Folgende Merkmale untersuchten die Forschenden:

• Verbesserung der
  • bewertet durch: behandelnde Person, Eltern, Lehrkräfte oder Betroffene selbst
• Behandlung
  • echtes Medikament

Hinweis der KLARpsy-Autor:innen

Sollten Ihnen Begriffe in diesem Abschnitt nicht vertraut sein, finden Sie eine Erklärung im KLARsaurus-Wörterbuch.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

• Die Beschwerden der verbesserten sich, wenn Betroffene in klinischen Studien ein erhielten. Die behandelnden Personen, Eltern, Lehrkräfte und die Betroffenen selbst bewerteten die Beschwerden nach der Behandlung als weniger stark. betrug zwischen 0.36 und 0.75. Das sind kleine bis mittelgroße Unterschiede vor und nach der Behandlung. Umgerechnet auf 100 Betroffene bedeutet dies: Bei 64 bis 77 von 100 Personen, die ein Placebo bekamen, verbesserten sich die Beschwerden.
• Die Wirkung des Placebos und des echten Medikaments hingen zusammen. Je wirksamer das Placebo in einer klinischen Studie eingeschätzt wurde, desto besser wirkte auch das Medikament. Die betrug zwischen 0.37 und 0.85. Das sind mittelstarke bis starke Zusammenhänge. Der Zusammenhang war allerdings nicht bedeutsam, wenn die Betroffenen selbst die Wirkung beurteilten.
• Die behandelnden Personen schätzten die Beschwerden von 25 von 100 Betroffenen als verbessert oder stark verbessert ein, wenn diese ein Placebo bekamen. Bei echten Medikamenten waren es je nach Art des Medikaments zwischen 47 und 60 von 100 Betroffenen.

Wie lassen sich die Ergebnisse bewerten?

Was ist die Ursache für die Ergebnisse?

In der Übersichtsarbeit wurden Verbesserungen in den Beschwerden der bei Betroffenen beobachtet, die in klinischen Studien bekamen. Wegen der Art der Studien, die berücksichtigt wurden, kann man mit hoher Sicherheit sagen, dass an einer klinischen Studie teilzunehmen und Placebos zu bekommen auch die Ursache für diese Unterschiede ist.

Sind die Ergebnisse durch eingeschränktes Veröffentlichen von Studien verzerrt?

• Worum geht es? Eindeutige Forschungsergebnisse lassen sich leichter veröffentlichen als uneindeutige Ergebnisse. Das ist für Übersichtsarbeiten problematisch. Sie können unveröffentlichte Ergebnisse nämlich nicht berücksichtigen.
• Was bedeutet das für die vorliegende Übersichtsarbeit? Die Forschenden fanden keine Hinweise auf solche Verzerrungen. Sie nehmen deshalb an, dass Placebos bei ADHS tatsächlich ähnlich stark wirken, wie in ihrer Übersichtsarbeit berechnet.

Wie zuverlässig sind die Ergebnisse?

Die Forschenden geben zu bedenken, dass sie die Wirkung von Placebos nur für ADHS untersucht haben. Die Ergebnisse sind nicht unbedingt auf andere psychische Störungen übertragbar. Man weiß auch nicht, ob Placebos langfristig und außerhalb von klinischen Studien wirken.

Welchen Alltagsbezug sehen die Forschenden in der Übersichtsarbeit?

Die Forschenden schließen aus ihrer Übersichtsarbeit, dass Bedingungen, die dafür sorgen, dass besonders gut wirken, auch zu einer besseren Wirkung von Medikamenten führen. In der Behandlung von könnte man deshalb auf Leitlinien zur Stärkung solcher Placeboeffekte zurückgreifen. Hierzu zählt zum Beispiel, das Vertrauen in die Behandlung aktiv zu stärken. Ob die offene Gabe von Placebos in der Regelbehandlung hilft, sei hingegen noch unklar.

Was ist noch zu beachten?

Wer hat die Übersichtsarbeit finanziert?

Die Erstellung der Übersichtsarbeit wurde durch das Horizon Programm der Europäischen Union, das National Institute of Mental Health der USA sowie das National Institute for Health Research aus Großbritannien finanziert. Das sind öffentliche Einrichtungen, die Wissenschaft und Forschung fördern.

Berichten die Forschenden in der Übersichtsarbeit eigene Interessenkonflikte?

Die Forschenden berichten, dass folgende vorliegen: Ein Teil der Forschenden hat Gelder von Pharmaunternehmen erhalten. Außerdem hat ein Forschender Gelder von verschiedenen wissenschaftlichen Verlagen erhalten und ist an einem Patent für eine bestimmte Form der ADHS-Behandlung beteiligt.