Worum geht es?
KLARpsy-Texte bereiten Forschungsergebnisse aus der Psychologie für die Öffentlichkeit auf. Dieser KLARpsy-Text wurde von Mitarbeitenden des Leibniz-Instituts für Psychologie verfasst. Der KLARpsy-Text fasst die Übersichtsarbeit mit dem Titel No negative effects of reading on screen on comprehension of narrative texts compared to print: A meta-analysis zusammen. Diese Übersichtsarbeit beinhaltet eine Metaanalyse. Die Übersichtsarbeit wurde 2022 veröffentlicht. Sie stammt von Annika Schwabe und drei weiteren Forschenden von der Universität Wien.
Was war das Ziel der Übersichtsarbeit?
Hintergrund:
Zu verstehen, was wir lesen, ist wichtig im Alltag. In den letzten Jahren lesen wir immer mehr Texte auf Bildschirmen. Dazu gehören auch erzählende Texte, zum Beispiel Romane oder Kurzgeschichten. Forschende waren sich bisher nicht einig, ob Leser:innen Texte auf dem Bildschirm besser oder schlechter verstehen als gedruckte Texte. Bei Sachtexten spricht die Forschungslage eher dafür, dass Leser:innen diese Texte in gedruckter Form besser verstehen als auf dem Bildschirm. In Bezug auf erzählende Texte ist die Frage noch nicht endgültig geklärt.
Forschungsfrage:
Mit ihrer Übersichtsarbeit wollten die Forschenden herausfinden:
- Verstehen Leser:innen erzählende Texte besser, wenn sie sie auf dem Bildschirm lesen, als wenn sie sie in gedruckter Form lesen?
- Macht es einen Unterschied, ob der Text auf dem Bildschirm durch interaktive Funktionen wie zum Beispiel einem eingebauten Wörterbuch ergänzt wird?
- Macht es einen Unterschied, auf welchem Gerät die Leser:innen den Text lesen?
Wie sind die Forschenden in der Übersichtsarbeit vorgegangen?
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gesucht?
Die Forschenden suchten nach Studien, die verglichen, ob Leser:innen, die einen Text auf dem Bildschirm lesen, diesen Text besser verstehen als Leser:innen, die denselben Text in gedruckter Form lesen. Der Text musste ein erzählender Text sein.
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gefunden?
Die Forschenden fanden insgesamt 29 Studien aus den Jahren 1982 bis 2021. Aus diesen Studien konnten sie 66 Ergebnisse von 2 239 Personen mit einer Metaanalyse zusammenfassen.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit gemacht?
In den 29 Studien schauten die Forschenden, ob die Leser:innen den Text besser verstanden, wenn sie ihn auf dem Bildschirm lasen, als wenn sie ihn in gedruckter Form lasen. In manchen Studien konnten die Forschenden auch schauen, ob es einen Unterschied machte, ob der Text interaktive Funktionen hatte oder auf welchem Gerät der Text gelesen wurde.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit untersucht?
Folgende Merkmale wurden untersucht:
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Ob die Leser:innen den Text auf einem Bildschirm oder in gedruckter Form lasen.
- Bei Texten auf dem Bildschirm:
- Ob der Text interaktive Funktionen wie zum Beispiel ein eingebautes Wörterbuch hatte.
- Aus welchem Gerät die Personen den Text lasen: Computer, E-Book oder Tablet.
- Bei Texten auf dem Bildschirm:
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Wie gut die Leser:innen den Text verstanden.
Hinweis der KLARpsy-Autor:innen
Sollten Ihnen Begriffe in diesem Abschnitt nicht vertraut sein, finden Sie eine Erklärung im KLARsaurus-Wörterbuch.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
- Die Forschenden fanden heraus, dass Leser:innen den Text auf dem Bildschirm nicht bedeutsam besser oder schlechter verstanden als denselben Text in gedruckter Form.
- Wenn der Text auf dem Bildschirm zusätzliche interaktive Funktionen enthielt, dann verstanden die Leser:innen den Text auf dem Bildschirm besser als denselben Text in gedruckter Form. Die Effektstärke Cohen’s d betrug 0.32. Das ist ein kleiner Unterschied im Textverständnis zwischen Texten auf Bildschirmen mit interaktiven Funktionen und Texten in gedruckter Form. Umgerechnet auf 100 Leser:innen bedeutet dies: 63 von 100 Leser:innen, die den Text auf dem Bildschirm lasen, verstanden ihn besser als der Durchschnitt der Leser:innen, die den Text in gedruckter Form lasen.
- Auf welchem Gerät die Personen den Text lasen, machte keinen bedeutsamen Unterschied beim Verstehen des Textes.
Wie lassen sich die Ergebnisse bewerten?
Was ist die Ursache für die Ergebnisse?
In der Übersichtsarbeit wurde beobachtet, dass Personen einen Text auf einem Bildschirm mit interaktiven Funktionen besser verstehen als einen Text in gedruckter Form. Wegen der Art der Studien, die berücksichtigt wurden, weiß man nur, dass es diesen Unterschied gibt. Man kann aber nicht sicher sagen, dass die Art, wie der Text präsentiert wird, auch die Ursache dafür ist, dass er besser verstanden wird.
Sind die Ergebnisse durch eingeschränktes Veröffentlichen von Studien verzerrt?
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Worum geht es? Eindeutige Forschungsergebnisse lassen sich leichter veröffentlichen als uneindeutige Ergebnisse. Das ist für Übersichtsarbeiten problematisch. Sie können unveröffentlichte Ergebnisse nämlich nicht berücksichtigen.
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Was bedeutet das für die vorliegende Übersichtsarbeit? Die Forschenden fanden Hinweise, die für solche Verzerrungen sprechen, und Hinweise, die gegen solche Verzerrungen sprechen. Da die meisten Studien und auch die Übersichtsarbeit uneindeutige Ergebnisse berichteten, folgern sie, dass solche Verzerrungen eher unwahrscheinlich sind.
Wie zuverlässig sind die Ergebnisse?
Die Forschenden geben zu bedenken: Alle Studien über das Lesen von Texten auf dem Bildschirm mit interaktiven Funktionen waren mit Schülern und Schülerinnen. Man weiß nicht, ob sich erfahrenere Leser:innen auch so verhalten. Außerdem waren diese interaktiven Funktionen sehr unterschiedlich: Manche dienten der Unterhaltung, wie zum Beispiel die Option, Musik anzumachen, und manche unterstützten das Leseverständnis. Viele der Texte hatten sowohl Funktionen, die unterhalten, als auch Funktionen, die das Leseverständnis unterstützen sollten. Daher weiß man nicht, welche Funktionen genau damit zusammenhängen, dass die Leser:innen den Text besser verstehen.
Welchen Alltagsbezug sehen die Forschenden in der Übersichtsarbeit?
In den Studien haben die Studienleitungen besonders darauf geachtet, dass die Personen beim Lesen nicht abgelenkt wurden. Dadurch können sie die Ergebnisse besser miteinander vergleichen. Man kann sie aber schlechter auf den Alltag übertragen. Im Alltag passieren Ablenkungen nämlich gerade dann, wenn man Texte auf dem Bildschirm, zum Beispiel auf dem Handy, liest. Die Forschenden sagen, dass dazu noch Studien gemacht werden müssten.
Was ist noch zu beachten?
Wer hat die Übersichtsarbeit finanziert?
Die Erstellung der Übersichtsarbeit wurde durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanziell unterstützt. Der FWF fördert Grundlagenforschung in Österreich.
Berichten die Forschenden in der Übersichtsarbeit eigene Interessenkonflikte?
Die Forschenden berichten, dass keine Interessenkonflikte bei ihnen vorliegen.