Worum geht es?
KLARpsy-Texte bereiten Forschungsergebnisse aus der Psychologie für die Öffentlichkeit auf. Dieser KLARpsy-Text wurde von Mitarbeitenden des Leibniz-Instituts für Psychologie verfasst. Der KLARpsy-Text fasst die Übersichtsarbeit mit dem Titel The Link Between Low Self-Esteem and Eating Disorders: A Meta-Analysis of Longitudinal Studies zusammen. Diese Übersichtsarbeit beinhaltet eine Metaanalyse. Die Übersichtsarbeit wurde 2023 veröffentlicht. Sie stammt von Samantha Krauss und zwei weiteren Forschenden der Universität Bern in der Schweiz.
Was war das Ziel der Übersichtsarbeit?
Hintergrund:
Es ist vielfach belegt, dass Probleme mit dem Selbstwert und Essstörungen zusammenhängen. Es gibt in der Forschung mehrere Annahmen dazu, wie der Selbstwert damit zusammenhängen könnte, dass Menschen eine Essstörung entwickeln. Eine Vermutung besagt, dass manche Menschen mit einem niedrigen Selbstwert versuchen, diesen zu verbessern, indem sie es schaffen, möglichst dünn zu sein. Andersherum könnten auch Essstörungen den Selbstwert beeinflussen. Denn Essstörungen gehen mit großen psychischen und körperlichen Einschränkungen einher. Das könnte das ohnehin häufig negative Bild, das Betroffene von sich haben, weiter verschlechtern.
Forschungsfrage:
Mit ihrer Übersichtsarbeit wollten die Forschenden herausfinden:
- Sagt der Selbstwert vorher, wie stark zu einem späteren Zeitpunkt die Merkmale einer Essstörung sind?
- Oder ist es eher andersherum: Kann die Schwere einer Essstörung vorhersagen, wie hoch später der Selbstwert ist?
Wie sind die Forschenden in der Übersichtsarbeit vorgegangen?
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gesucht?
Die Forschenden suchten nach Studien, die die Entwicklung des Selbstwertes und mindestens eines Merkmals einer Essstörung (zum Beispiel ein negatives Körperbild) über einen gewissen Zeitraum hinweg untersuchten.
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gefunden?
Die Forschenden fanden insgesamt 48 Studien aus den Jahren 2001 bis 2018, deren Ergebnisse sie mit einer Metaanalyse zusammenfassen konnten. Insgesamt sind das Studienergebnisse von 19 187 Menschen mit Essstörungen. Die Studienteilnehmenden waren zwischen 7 und 48 Jahren alt. Im Durchschnitt waren 79% davon Frauen.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit gemacht?
In den 48 Studien schauten die Forschenden, ob der aktuelle Selbstwert die Merkmale einer späteren Essstörung vorhersagen konnte. Außerdem schauten sie, ob andersherum Merkmale einer Essstörung den späteren Selbstwert vorhersagen konnten.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit untersucht?
Folgende Merkmale haben die Forschenden untersucht:
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Selbstwert
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Merkmale von Essstörungen
- Schwere der Essstörung insgesamt
- Einzelne Merkmale, zum Beispiel ein negatives Körperbild oder Essattacken
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Merkmale der Studien, zum Beispiel Frauenanteil
Hinweis der KLARpsy-Autor:innen
Sollten Ihnen Begriffe in diesem Abschnitt nicht vertraut sein, finden Sie eine Erklärung im KLARsaurus-Wörterbuch.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
- Der Selbstwert sagte Merkmale einer Essstörung zu einem späteren Zeitpunkt vorher. Das Vorhersagemaß Beta betrug -0.08. Das ist ein mittelgroßer Einfluss auf spätere Merkmale einer Essstörung. Je niedriger der Selbstwert war, desto sträker waren später die Merkmale einer Essstörung.
- Andersherum sagten Merkmale von Essstörungen den Selbstwert zu einem späteren Zeitpunkt vorher. Das Vorhersagemaß Beta betrug -0.09. Das ist ein mittelgroßer Einfluss auf den späteren Selbstwert. Je schwächer die Merkmale einer Essstörung waren, desto höher war später der Selbstwert.
- Einzelne Merkmale einer Essstörung und der Selbstwert hingen ähnlich zusammen. Zum Beispiel sagte ein niedrigerer Selbstwert ein späteres negativeres Körperbild vorher. Und andersherum sagte ein negativeres Körperbild einen späteren niedrigeren Selbstwert vorher. Das Vorhersagemaß Beta betrug hier je nach Merkmal zwischen -0.07 und -0.16. Das sind mittelgroße Einflüsse.
- Wie hoch der Anteil der Frauen an den Studienteilnehmenden war, hatte keinen bedeutsamen Einfluss auf die Zusammenhänge.
Wie lassen sich die Ergebnisse bewerten?
Was ist die Ursache für die Ergebnisse?
Die Übersichtsarbeit berichtet darüber, wie sich der Selbstwert und Essstörungen über die Zeit hinweg gegenseitig beeinflussen. Wegen der Art der Studien, die berücksichtigt wurden, weiß man nur, dass es diese Einflüsse gibt. Das bedeutet nicht, dass ein niedrigerer Selbstwert auch die Ursache für die Entwicklung von Essstörungen sein muss. Und andersherum bedeutet dies auch nicht, dass Essstörungen die Ursache für einen niedrigeren Selbstwert sein müssen.
Sind die Ergebnisse durch eingeschränktes Veröffentlichen von Studien verzerrt?
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Worum geht es? Eindeutige Forschungsergebnisse lassen sich leichter veröffentlichen als uneindeutige Ergebnisse. Das ist für Übersichtsarbeiten problematisch. Sie können unveröffentlichte Ergebnisse nämlich nicht berücksichtigen.
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Was bedeutet das für die vorliegende Übersichtsarbeit? Die Forschenden fanden keine Hinweise auf solche Verzerrungen. Sie nehmen deshalb an, dass die Einflüsse des Selbstwertes und von Essstörungen ähnlich groß sind wie in ihrer Übersichtsarbeit berechnet.
Wie zuverlässig sind die Ergebnisse?
Die Forschenden weisen darauf hin, dass die meisten Teilnehmenden der eingeschlossenen Studien aus westlichen Industrieländern stammen. Das schränkt die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Menschen ein. Außerdem haben sie den Selbstwert und Merkmale einer Essstörung zu unterschiedlichen Zeitpunkten beobachtet. Das kann auf mögliche Einflüsse hinweisen. Trotzdem kann man nicht sagen, dass ein niedriger Selbstwert eine Essstörung verursacht oder bedingt. Oder dass Essstörungen zwingend einen niedrigen Selbstwert verursachen.
Welchen Alltagsbezug sehen die Forschenden in der Übersichtsarbeit?
Die Forschenden merken an, dass es möglicher Weise sinnvoll sein könnte, den Selbstwert zu trainieren, um Essstörungen vorzubeugen. Dazu müsste aber erst sichergestellt werden, dass ein niedriger Selbstwert auch Essstörungen verursachen kann. Außerdem weisen sie darauf hin, dass die erfolgreiche Behandlung von Essstörungen auch eine Verbesserung des Selbstwertes von Betroffenen bewirken dürfte.
Was ist noch zu beachten?
Wer hat die Übersichtsarbeit finanziert?
In der Übersichtsarbeit können keine Angaben dazu gefunden werden, wie diese finanziert wurde.
Berichten die Forschenden in der Übersichtsarbeit eigene Interessenkonflikte?
Die Forschenden berichten, dass keine Interessenkonflikte bei ihnen vorliegen.