Worum geht es?
KLARpsy-Texte bereiten Forschungsergebnisse aus der Psychologie für die Öffentlichkeit auf. Dieser KLARpsy-Text wurde von Mitarbeitenden des Leibniz-Instituts für Psychologie verfasst. Der KLARpsy-Text fasst die Übersichtsarbeit mit dem Titel Depression, cardiometabolic disease, and their co-occurrence after childhood maltreatment: an individual participant data meta-analysis including over 200,000 participants zusammen. Diese Übersichtsarbeit beinhaltet eine Metaanalyse. Die Übersichtsarbeit wurde 2023 veröffentlicht. Sie stammt von Camille Souama und 23 weiteren Forschenden von der Universität Amsterdam und 20 weiteren Forschungsinstituten.
Was war das Ziel der Übersichtsarbeit?
Hintergrund:
Menschen mit Missbrauchserfahrungen in der Kindheit entwickeln später eher Depressionen und körperliche Erkrankungen. Das ist zum Beispiel für kardiometabolische Erkrankungen bekannt, also Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder des Stoffwechsels. Wie stark Missbrauch mit solchen Erkrankungen und Depressionen zusammenhängt, wurde aber bisher nur getrennt untersucht. Ob Erfahrungen von Missbrauch stärker mit Depressionen oder diesen körperlichen Erkrankungen zusammenhängen, ist damit noch unklar.
Forschungsfrage:
Mit ihrer Übersichtsarbeit wollten die Forschenden herausfinden:
- Wie stark hängen Erfahrungen von Missbrauch in der Kindheit mit Depressionen und körperlichen Erkrankungen im Erwachsenenalter zusammen?
- Wie stark erhöhen Erfahrungen von Missbrauch das Risiko, sowohl Depressionen als auch körperliche Erkrankungen zu haben?
Wie sind die Forschenden in der Übersichtsarbeit vorgegangen?
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gesucht?
Die Forschenden suchten nach Studien, die Erfahrungen von Missbrauch in der Kindheit bei Erwachsenen erfragten. Zusätzlich mussten Angaben zu Depressionen und den untersuchten körperlichen Erkrankungen vorliegen. Die Forschenden mussten auch Zugang zu den Daten der Erwachsenen haben.
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gefunden?
Die Forschenden fanden insgesamt 13 Studien, bei denen sie die Angaben der beobachteten Erwachsenen mit einer Metaanalyse zusammenfassen konnten. Insgesamt sind das Studienergebnisse von 217 929 Erwachsenen. Das Alter der Erwachsenen lag im Durchschnitt bei 52 Jahren. Die Häufigkeit von Depressionen, körperlichen Erkrankungen und Kindesmissbrauch schwankte stark, je nachdem ob die Studien gezielt Menschen mit solchen Erkrankungen oder Erfahrungen untersuchten oder nicht. Je nach Studie hatten zwischen 5 und 59 von 100 Erwachsenen nur Depressionen. Zwischen 1 und 22 von 100 Erwachsenen hatten nur eine der untersuchten körperlichen Erkrankungen. Zwischen weniger als 1 und 23 von 100 Erwachsenen hatten beides. Missbrauch in der Kindheit erfuhren je nach Studie zwischen knapp 8 und 47 von 100 Erwachsenen. Die Studien kamen aus Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien und den USA.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit gemacht?
In den 13 Studien schauten die Forschenden, ob Erfahrungen von Missbrauch als Kind mit Depressionen und körperlichen Erkrankungen zusammenhingen. Sie schauten auch, ob nur eines von beidem – also zum Beispiel nur Depressionen – oder beides zusammen auftrat.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit untersucht?
Folgende Merkmale der Erwachsenen wurden betrachtet:
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Erfahrungen von Missbrauch als Kind
- Körperlicher, emotionaler oder sexueller Missbrauch
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Depression im Erwachsenenalter
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Körperliche Erkrankungen im Erwachsenenalter
- Kardiometabolische Erkrankungen – also Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die nicht angeboren sind, oder Stoffwechsel-Erkrankungen wie Diabetes
Hinweis der KLARpsy-Autor:innen
Sollten Ihnen Begriffe in diesem Abschnitt nicht vertraut sein, finden Sie eine Erklärung im KLARsaurus-Wörterbuch.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
- Menschen, die als Kind Missbrauch erfuhren, hatten im Erwachsenenalter eher Depressionen. Die Effektstärke für diesen Zusammenhang (Odds Ratio) betrug 2.82. Das ist ein kleiner Zusammenhang zwischen Missbrauch in der Kindheit und Depression im Erwachsenenalter.
- Menschen, die als Kind Missbrauch erfuhren, hatten im Erwachsenenalter eher körperliche Erkrankungen. Die Effektstärke für diesen Zusammenhang (Odds Ratio) betrug 1.34. Das ist ein sehr kleiner Zusammenhang zwischen Missbrauch in der Kindheit und diesen körperlichen Erkrankungen im Erwachsenenalter.
- Menschen, die in der Kindheit Missbrauch erfuhren, hatten im Erwachsenenalter eher beides, eine Depression und eine körperliche Erkrankung. Die Effektstärke für diesen Zusammenhang (Odds Ratio) betrug 3.04. Das ist ein kleiner Zusammenhang.
- Der Zusammenhang zwischen Erfahrungen von Missbrauch in der Kindheit und späterer Depression war stärker als der Zusammenhang mit späteren körperlichen Erkrankungen.
Wie lassen sich die Ergebnisse bewerten?
Was ist die Ursache für die Ergebnisse?
In der Übersichtsarbeit wurden Zusammenhänge zwischen Missbrauch als Kind und späteren Depressionen oder körperlichen Erkrankungen beobachtet. Wegen der Art der Studien, die berücksichtigt wurden, weiß man nur, dass es diese Zusammenhänge gibt. Man kann aber nicht sicher sagen, dass Missbrauch spätere Erkrankungen oder Depressionen verursacht.
Sind die Ergebnisse durch eingeschränktes Veröffentlichen von Studien verzerrt?
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Worum geht es? Eindeutige Forschungsergebnisse lassen sich leichter veröffentlichen als uneindeutige Ergebnisse. Das ist für Übersichtsarbeiten problematisch. Sie können unveröffentlichte Ergebnisse nämlich nicht berücksichtigen.
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Was bedeutet das für die vorliegende Übersichtsarbeit? Die Forschenden haben einen neuen Ansatz gewählt und dadurch auch Ergebnisse berücksichtigt, die nicht unbedingt veröffentlicht sein mussten. Damit konnten sie in ihrer Übersichtsarbeit das Problem umgehen, das durch eingeschränktes Veröffentlichen von Studien entsteht.
Wie zuverlässig sind die Ergebnisse?
Die Forschenden geben zu bedenken: Einzelne Studien beinhalteten zum großen Teil junge Menschen. Die Häufigkeit der untersuchten körperlichen Erkrankungen war hier sehr gering. Die Forschenden konnten in diesen Studien deshalb nicht das gleichzeitige Auftreten dieser Erkrankungen mit Depressionen untersuchen.
Welchen Alltagsbezug sehen die Forschenden in der Übersichtsarbeit?
Die Forschenden finden folgendes Ergebnis für die klinische Praxis wichtig: Belastende Erfahrungen in der Kindheit haben lebenslange Folgen. Diese Folgen betreffen sowohl die spätere psychische als auch die körperliche Gesundheit. Kinder, die Missbrauch erfahren haben, sollten deshalb früh und gezielt Hilfe erhalten.
Was ist noch zu beachten?
Wer hat die Übersichtsarbeit finanziert?
In der Übersichtsarbeit können keine Angaben dazu gefunden werden, wie diese finanziert wurde.
Berichten die Forschenden in der Übersichtsarbeit eigene Interessenkonflikte?
Ein Forscher berichtet, dass er finanzielle Unterstützung von Pharmaunternehmen erhalten hat. Die anderen Forschenden berichten, dass keine Interessenkonflikte bei ihnen vorliegen.