Worum geht es?
KLARpsy-Texte bereiten Forschungsergebnisse aus der Psychologie für die Öffentlichkeit auf. Dieser KLARpsy-Text wurde von Mitarbeitenden des Leibniz-Instituts für Psychologie verfasst. Der KLARpsy-Text fasst die Übersichtsarbeit mit dem Titel Music therapy for people with substance use disorders zusammen. Diese Übersichtsarbeit beinhaltet eine Metaanalyse. Die Übersichtsarbeit wurde 2022 veröffentlicht. Sie stammt von Claire Ghetti und sechs weiteren Forschenden der Universität Bergen in Norwegen und vier weiteren Universitäten. Die Übersichtsarbeit ist Teil der Cochrane Library.
Was war das Ziel der Übersichtsarbeit?
Hintergrund:
Bei einer Suchterkrankung nehmen Menschen Drogen ein, obwohl das für sie Probleme verursacht. Suchterkrankungen sind ein großes gesellschaftliches Problem. Sie betreffen weltweit über 35 Millionen Menschen und ihre Behandlung ist besonders herausfordernd. Musiktherapie nutzt verschiedene Arten von musikalischen Erfahrungen, um Menschen zu helfen. Dies reicht davon, selbst Musik zu machen bis hin zu angeleiteten Diskussionen über Musik. Musiktherapie ergänzt oft Standardbehandlungen – zum Beispiel in Kliniken. Sie soll dort die Verarbeitung eigener Gefühle unterstützen. Gerade Menschen mit Sucht setzen Drogen oft ein, um schwierige Gefühle zu verarbeiten. Bei der Behandlung von Suchterkrankungen könnte Musiktherapie deshalb eine sinnvolle Ergänzung sein. Es ist aber noch unklar, ob Musiktherapie Menschen mit einer Sucht tatsächlich bei ihrer Behandlung hilft.
Forschungsfrage:
Mit ihrer Übersichtsarbeit wollten die Forschenden herausfinden: Hilft Musiktherapie als Ergänzung einer Standardbehandlung Menschen mit einer Sucht?
Wie sind die Forschenden in der Übersichtsarbeit vorgegangen?
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gesucht?
Die Forschenden suchten nach Studien zu Musiktherapie bei Menschen mit einer Sucht. Die Studien mussten Standardbehandlungen mit und ohne Musiktherapie miteinander vergleichen. Sie mussten dazu die Motivation, die psychische Gesundheit oder das Verlangen nach Drogen untersuchen. Die Menschen konnten süchtig nach Medikamenten, Alkohol oder illegalen Drogen sein.
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gefunden?
Die Forschenden fanden insgesamt 21 Studien aus den Jahren 1988 bis 2021, deren Ergebnisse sie mit einer Metaanalyse zusammenfassen konnten. Insgesamt sind das Studienergebnisse von 1 984 Menschen mit einer Sucht. Die Musiktherapie dauerte von einer einzigen 45-Minuten Sitzung bis hin zu längeren Sitzungen über 13 Wochen.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit gemacht?
In den 21 Studien schauten die Forschenden, ob die Standardbehandlung besser half, wenn eine Musiktherapie sie ergänzte.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit untersucht?
Die Forschenden betrachteten folgende Merkmale der Behandlungen und der Betroffenen:
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Ergänzte eine Musiktherapie die Standardbehandlung?
- Ja
- Nein
- nur Standardbehandlung ohne Zusatzbehandlung: zum Beispiel Entzug in einer Klinik
- Standardbehandlung mit einer anderen Zusatzbehandlung: zum Beispiel zusätzliche psychotherapeutische Gespräche
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Merkmale der Menschen mit Sucht
- Verlangen nach Drogen
- Motivation
- Für die Behandlung
- Clean oder trocken zu bleiben
- Psychische Gesundheit
- Angst
- Depression
Hinweis der KLARpsy-Autor:innen
Sollten Ihnen Begriffe in diesem Abschnitt nicht vertraut sein, finden Sie eine Erklärung im KLARsaurus-Wörterbuch.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
- Standardbehandlung mit Musiktherapie im Vergleich zu Standardbehandlung ohne Zusatzbehandlung
- Gegen das Verlangen nach Drogen half eine ergänzende Musiktherapie besser als keine Zusatzbehandlung. Die Effektstärke SMD betrug 0.66. Das ist ein mittelgroßer Unterschied im Verlangen zwischen Menschen mit Sucht, die Musiktherapie erhielten, und Betroffenen ohne Zusatzbehandlung.
- Die Motivation zur Behandlung war bei einer ergänzenden Musiktherapie höher als ohne Zusatzbehandlung. Die Effektstärke SMD betrug 0.41. Das ist ein kleiner Unterschied in der Motivation von Menschen mit Sucht, die Musiktherapie erhielten, und Betroffenen ohne Zusatzbehandlung.
- Bei Depressionen, Ängsten und der Motivation, clean oder trocken zu bleiben, half die ergänzende Musiktherapie nicht besser als keine Zusatzbehandlung. Diese Unterschiede waren nicht bedeutsam.
- Standardbehandlung mit Musiktherapie im Vergleich zu Standardbehandlung mit einer anderen Zusatzbehandlung
- Bei der Motivation zur Behandlung half eine ergänzende Musiktherapie besser als andere Zusatzbehandlungen. Die Effektstärke SMD betrug 0.46. Das ist ein kleiner Unterschied in der Motivation von Menschen mit Sucht, die Musiktherapie erhielten, und Betroffenen mit anderer Zusatzbehandlung.
- Bei Depressionen, Ängsten, der Motivation, clean oder trocken zu bleiben, und dem Verlangen nach Drogen half eine ergänzende Musiktherapie nicht besser als andere Zusatzbehandlungen. Diese Unterschiede waren nicht bedeutsam.
Wie lassen sich die Ergebnisse bewerten?
Was ist die Ursache für die Ergebnisse?
In der Übersichtsarbeit wurden Unterschiede zwischen Menschen mit Sucht beobachtet, wenn sie eine Musiktherapie als Zusatzbehandlung bekamen. Wegen der Art der Studien, die berücksichtigt wurden, kann man mit hoher Sicherheit sagen, dass ergänzende Musiktherapie diese Unterschiede verursacht.
Sind die Ergebnisse durch eingeschränktes Veröffentlichen von Studien verzerrt?
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Worum geht es? Eindeutige Forschungsergebnisse lassen sich leichter veröffentlichen als uneindeutige Ergebnisse. Das ist für Übersichtsarbeiten problematisch. Sie können unveröffentlichte Ergebnisse nämlich nicht berücksichtigen.
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Was bedeutet das für die vorliegende Übersichtsarbeit? Die Forschenden fanden Hinweise auf solche Verzerrungen. Sie nehmen deshalb an, dass Musiktherapie tatsächlich weniger stark hilft als in ihrer Übersichtsarbeit berechnet.
Wie zuverlässig sind die Ergebnisse?
Die Forschenden geben zu bedenken: Insgesamt schätzen die Forschenden die Belastbarkeit des Ergebnisses der Metaanalyse als mittelgroß bis niedrig ein. Grund hierfür ist zum Beispiel, dass die Ergebnisse der einzelnen Studien teilweise sehr verschieden waren. Manche Studien fanden größere Unterschiede andere kleinere. Außerdem stammt ein Großteil der berücksichtigten Studien aus derselben Entzugsklinik. Dies könnte die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Kliniken einschränken. Es gab auch nicht genug Studien, um zu untersuchen, ob Merkmale der Menschen mit Sucht einen Unterschied machten – zum Beispiel nach welcher Droge sie süchtig waren.
Welchen Alltagsbezug sehen die Forschenden in der Übersichtsarbeit?
Die Forschenden schließen aus der Übersichtsarbeit, dass Musiktherapie für Menschen mit Sucht die Standardbehandlung sinnvoll ergänzt. Das Verlangen nach Drogen zu schwächen und die Motivation für eine Behandlung zu stärken, kann helfen, Rückfälle zu vermeiden. Reaktionen auf Musik können sich aber von Person zu Person stark unterscheiden und bestimmte Songs können sogar Verlangen nach Drogen auslösen. Es ist daher wichtig, Fachpersonal für Musiktherapie einzubinden.
Was ist noch zu beachten?
Wer hat die Übersichtsarbeit finanziert?
Die Erstellung der Übersichtsarbeit wurde durch die POLYFON Kunnskapsklynge for musikkterapi finanziert. Das ist ein norwegisches Netzwerk für Musiktherapie, das die Universität Bergen koordiniert.
Berichten die Forschenden in der Übersichtsarbeit eigene Interessenkonflikte?
Die Forschenden berichten, dass keine Interessenkonflikte bei ihnen vorliegen.