Worum geht es?
KLARpsy-Texte bereiten Forschungsergebnisse aus der Psychologie für die Öffentlichkeit auf. Dieser KLARpsy-Text wurde von Mitarbeitenden des Leibniz-Instituts für Psychologie verfasst. Der KLARpsy-Text fasst die Übersichtsarbeit mit dem Titel The stability of personality disorders and personality disorder criteria: A systematic review and meta-analysis zusammen. Diese Übersichtsarbeit beinhaltet eine Metaanalyse. Die Übersichtsarbeit wurde 2023 veröffentlicht. Sie stammt von Delfine d‘Huart und sechs weiteren Forschenden vom Universitätsklinikum Basel in der Schweiz und drei weiteren Instituten aus Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden.
Was war das Ziel der Übersichtsarbeit?
Hintergrund:
Persönlichkeitsstörungen, wie zum Beispiel die Borderline-Persönlichkeitsstörung, sind häufig sehr belastend für die Betroffenen und ihr Umfeld. Bisher haben Forschende angenommen, dass solche Störungen für immer bleiben. Die Tatsache, dass Persönlichkeitsstörungen dauerhaft bestehen bleiben, war ihr wesentliches Unterscheidungsmerkmal im Vergleich zu anderen Störungen. Sie waren auch lange Zeit schwer zu behandeln. Neuerdings gibt es jedoch zunehmend Erkenntnisse, die diesen Annahmen widersprechen.
Forschungsfrage:
Mit ihrer Übersichtsarbeit wollten die Forschenden herausfinden:
- Bedeutet die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung für Betroffene tatsächlich, dass sie die Störung dauerhaft haben?
- Gibt es Unterschiede, je nachdem, um welche Persönlichkeitsstörung es sich handelt?
Wie sind die Forschenden in der Übersichtsarbeit vorgegangen?
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gesucht?
Die Forschenden suchten nach Studien, die die Merkmale oder die Diagnose mindestens einer Persönlichkeitsstörung bei Menschen jeden Alters untersuchten. Die Studien mussten diese Menschen an mindestens zwei verschiedenen Zeitpunkten untersuchen – also die Entwicklung der Persönlichkeitsstörung bei diesen Menschen betrachten.
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gefunden?
Die Forschenden fanden insgesamt 40 Studien aus den Jahren 1990 bis 2022, deren Ergebnisse sie mit einer Metaanalyse zusammenfassen konnten. Insgesamt sind das Studienergebnisse von 38 432 Menschen. Etwa 2 von 3 dieser Menschen waren Frauen und der Großteil dieser Menschen stammte aus Nordamerika oder Europa. Der Zeitraum, über den die Entwicklung der Persönlichkeitsstörungen betrachtet wurde, lag durchschnittlich bei rund fünf Jahren.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit gemacht?
In den 40 Studien schauten die Forschenden, ob die Menschen nach einem bestimmten Zeitraum noch eine Persönlichkeitsstörung hatten. Außerdem schauten sie, ob sich die Schwere der Störung veränderte. Dafür betrachteten sie die Merkmale, die für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung vorliegen müssen. Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung müssen zum Beispiel mindestens fünf von neun störungsbezogenen Merkmalen vorliegen. Eines dieser Merkmale ist zum Beispiel ein andauerndes Gefühl innerer Leere.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit untersucht?
Folgende Merkmale haben die Forschenden untersucht:
- Bei wie vielen Menschen liegt nach einem bestimmten Zeitraum noch eine Persönlichkeitsstörung vor?
- Art der Persönlichkeitsstörung: eine oder mehrere von insgesamt zehn
- Zum Beispiel: Borderline-, antisoziale, zwanghafte oder schizoide Persönlichkeitsstörung
- Anzahl der störungsbezogenen Merkmale
Hinweis der KLARpsy-Autor:innen
Sollten Ihnen Begriffe in diesem Abschnitt nicht vertraut sein, finden Sie eine Erklärung im KLARsaurus-Wörterbuch.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
- Nach durchschnittlich etwa fünf Jahren hatten insgesamt noch etwa 57 von 100 der Menschen, die zu Beginn eine Persönlichkeitsstörung hatten, immer noch eine solche Störung. Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung waren es sogar nur noch 45 von 100.
- Bei fast allen Persönlichkeitsstörungen nahmen die störungsbezogenen Merkmale über die Zeit hinweg ab. Die Unterschiede in der Effektstärke SMD lagen zwischen -0.16 bei der histrionischen und -0.46 bei der schizotypen Persönlichkeitsstörung. Das sind sehr kleine bis mittelgroße Unterschiede.
- Ausnahmen waren die antisoziale, die zwanghafte und die schizoide Persönlichkeitsstörung. Hier veränderten sich die störungsbezogenen Merkmale nicht bedeutsam über die Zeit hinweg. Der Unterschied zwischen der Anzahl der störungsbezogenen Merkmale, die Personen über die Zeit aufwiesen, war hier nicht bedeutsam.
Wie lassen sich die Ergebnisse bewerten?
Was ist die Ursache für die Ergebnisse?
Die Übersichtsarbeit berichtet darüber, dass sich Persönlichkeitsstörungen über die Zeit hinweg verändern können. Zum Beispiel hatte über die Hälfte der Menschen mit Persönlichkeitsstörungen nach einer bestimmten Zeit keine solche Störung mehr. Über die Ursache dieser Veränderungen kann man allerdings keine sichere Aussage treffen.
Sind die Ergebnisse durch eingeschränktes Veröffentlichen von Studien verzerrt?
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Worum geht es? Eindeutige Forschungsergebnisse lassen sich leichter veröffentlichen als uneindeutige Ergebnisse. Das ist für Übersichtsarbeiten problematisch. Sie können unveröffentlichte Ergebnisse nämlich nicht berücksichtigen.
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Was bedeutet das für die vorliegende Übersichtsarbeit? Die Forschenden fanden Hinweise auf solche Verzerrungen. Sie nehmen deshalb an, dass Persönlichkeitsstörungen noch seltener dauerhaft bestehen bleiben als in ihrer Übersichtsarbeit berechnet.
Wie zuverlässig sind die Ergebnisse?
Die Forschenden weisen darauf hin, dass die Ergebnisse in den einzelnen Studien sehr unterschiedlich waren. Das macht das Gesamtergebnis der Übersichtsarbeit unsicher. Außerdem gab es für die verschiedenen Persönlichkeitsstörungen jeweils nur wenige Studien. Deshalb war es nicht möglich, zu untersuchen, was einen Einfluss darauf haben könnte, ob eine Persönlichkeitsstörung dauerhaft bestehen bleibt.
Welchen Alltagsbezug sehen die Forschenden in der Übersichtsarbeit?
Die Forschenden merken an, dass Persönlichkeitsstörungen eher nicht dauerhaft bestehen bleiben. Für Betroffene bedeutet diese Diagnose also nicht, dass sie lebenslang an der Störung leiden müssen. Die Forschenden argumentieren deshalb dafür, das eher „starre“ Verständnis von Persönlichkeitsstörungen aufzugeben. Dies sehen neue Leitlinien für die Diagnose psychischer Störungen auch vor.
Was ist noch zu beachten?
Wer hat die Übersichtsarbeit finanziert?
Eine Forscherin wurde vom Fonds National de la Recherche (FNR), einer öffentlichen Organisation zur Unterstützung von Forschung in Luxemburg, finanziell gefördert.
Berichten die Forschenden in der Übersichtsarbeit eigene Interessenkonflikte?
Die Forschenden berichten, dass keine Interessenkonflikte bei ihnen vorliegen.