Worum geht es?
KLARpsy-Texte bereiten Forschungsergebnisse aus der Psychologie für die Öffentlichkeit auf. Dieser KLARpsy-Text wurde von Mitarbeitenden des Leibniz-Instituts für Psychologie verfasst. Der KLARpsy-Text fasst die Übersichtsarbeit mit dem Titel Ignorance by choice: A meta-analytic review of the underlying motives of willful ignorance and its consequences zusammen. Diese Übersichtsarbeit beinhaltet eine Metaanalyse. Die Übersichtsarbeit wurde 2023 veröffentlicht. Sie stammt von Linh Vu und vier weiteren Forschenden von der Universität Amsterdam und zwei weiteren Instituten.
Was war das Ziel der Übersichtsarbeit?
Hintergrund:
Menschen ignorieren bewusst Informationen, um nichts über die negativen Folgen ihrer Handlungen zu erfahren. Wir wollen zum Beispiel gar nicht immer so genau wissen, wie die Produkte, die wir kaufen, hergestellt werden, oder wie sich unser Verhalten auf das Klima auswirkt. Diese absichtliche Unwissenheit erlaubt uns in solchen Situationen, ohne schlechtes Gewissen eigennützig zu handeln. Wie häufig es vorkommt, dass wir uns so verhalten, ist aber noch unklar.
Forschungsfrage:
Mit ihrer Übersichtsarbeit wollten die Forschenden herausfinden: Wann kommt es zu absichtlicher Unwissenheit? Wieviel eigennütziger handeln wir, wenn wir nichts über die Folgen unserer Handlungen wissen?
Wie sind die Forschenden in der Übersichtsarbeit vorgegangen?
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gesucht?
Die Forschenden suchten nach Studien zu absichtlicher Unwissenheit. In den Studien mussten Menschen eine Entscheidung treffen, die Folgen für sie selbst und Andere hatte. Sie konnten dabei entscheiden, ob sie wissen wollten, was die Folgen für die Anderen waren. Je nachdem, was die Folgen für sie und die Anderen waren, konnten sie dann selbstlose oder eigennützige Entscheidungen treffen.
Welche Studien haben die Forschenden für die Übersichtsarbeit gefunden?
Die Forschenden fanden insgesamt 22 Studien aus den Jahren 2007 bis 2020, die sie mit einer Metaanalyse zusammenfassen konnten. Insgesamt waren das Ergebnisse von 6 531 Menschen. Das durchschnittliche Alter der Menschen lag je nach Studie zwischen 22 und 38 Jahren. Die meisten Studien kamen aus Deutschland oder den USA.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit gemacht?
In den 22 Studien schauten die Forschenden, ob die Menschen etwas über die Folgen ihrer Handlungen für Andere wussten. Sie verglichen dann, wie oft die Entscheidungen dieser Menschen selbstlos oder eigennützig waren.
Was haben die Forschenden in der Übersichtsarbeit untersucht?
Die Forschenden untersuchten folgende Merkmale von Entscheidungen:
- Kennen die Menschen die Folgen ihrer Entscheidung für Andere?
- Wenn nicht: Wollen sie die Folgen für Andere erfahren?
- Entscheiden sie dann selbstlos oder eigennützig?
Hinweis der KLARpsy-Autor:innen
Sollten Ihnen Begriffe in diesem Abschnitt nicht vertraut sein, finden Sie eine Erklärung im KLARsaurus-Wörterbuch.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
- Insgesamt entschieden die Menschen eigennütziger, wenn sie nichts über die Folgen ihrer Handlungen für Andere wussten. Sie trafen hier in 38 von 100 Fällen selbstlose Entscheidungen. Wenn sie die Folgen kannten, trafen sie in 57 von 100 Fällen selbstlose Entscheidungen.
- Knapp 40 von 100 Menschen wollten lieber nicht vor der Entscheidung erfahren, welche Folgen ihre Handlungen für Andere hatten.
- Menschen, die erfahren wollten, welche Folgen ihre Entscheidung für Andere hat, trafen später auch eher selbstlose Entscheidungen. Im Vergleich zu Menschen, die die Informationen ohne zu fragen erhielten, lag der Anteil selbstloser Entscheidungen hier knapp 7 Prozent höher.
Wie lassen sich die Ergebnisse bewerten?
Was ist die Ursache für die Ergebnisse?
In der Übersichtsarbeit entschieden Menschen eigennütziger, wenn sie nichts über die Folgen ihrer Entscheidungen für Andere wussten. Wegen der Art der Studien, die berücksichtigt wurden, kann man mit Sicherheit sagen, dass dieses Wissen die Unterschiede im Verhalten verursacht.
Sind die Ergebnisse durch eingeschränktes Veröffentlichen von Studien verzerrt?
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Worum geht es? Eindeutige Forschungsergebnisse lassen sich leichter veröffentlichen als uneindeutige Ergebnisse. Das ist für Übersichtsarbeiten problematisch. Sie können unveröffentlichte Ergebnisse nämlich nicht berücksichtigen.
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Was bedeutet das für die vorliegende Übersichtsarbeit? Die Forschenden fanden keine Hinweise auf solche Verzerrungen. Sie nehmen deshalb an, dass die gefundenen Unterschiede im selbstlosen Verhalten tatsächlich ähnlich groß sind wie in ihrer Übersichtsarbeit berechnet.
Wie zuverlässig sind die Ergebnisse?
Die Forschenden geben zu bedenken: Die meisten Studien fanden im Labor statt und waren sehr ähnlich aufgebaut. Man weiß deshalb nicht, wie stark sich die Ergebnisse auf die echte Welt übertragen lassen. Sie können auch nicht sagen, ob sich die Ergebnisse auf nicht-westliche Gesellschaften übertragen lassen.
Welchen Alltagsbezug sehen die Forschenden in der Übersichtsarbeit?
Die Forschenden vermuten, dass es selbstloses Verhalten fördert, wenn Menschen umfassend über die Folgen ihrer Handlungen informiert sind. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass manche Menschen sich absichtlich nicht informieren, um eigennützig handeln zu können. Sie schlagen vor, dass die Gesetzgebung positives Verhalten belohnen oder Steuern auf schädliches Verhalten erheben könnte, anstatt nur auf die Moral Einzelner zu setzen.
Was ist noch zu beachten?
Wer hat die Übersichtsarbeit finanziert?
Die Übersichtsarbeit wurde durch verschiedene Organisationen zur Förderung von Forschung und Wissenschaft der Europäischen Union und der Niederlande finanziert.
Berichten die Forschenden in der Übersichtsarbeit eigene Interessenkonflikte?
Die Forschenden berichten, dass keine Interessenkonflikte bei ihnen vorliegen.